Kolekcja tłumaczeń – język niemiecki

Kolekcja tłumaczeń

Język niemiecki

Elżbieta Cichla-Czarniawska

Marek Danielkiewicz

Zbigniew Włodzimierz Fronczek

Anna Goławska

Magdalena Jankowska

Ewa Mazur

Waldemar Michalski

Dominik Opolski

Wacław Oszajca

Bohdan Zadura


Elżbieta Cichla-Czarniawska

Plantagen
[Plantacje]

nächtlich
bewegen sich über uns
Sternkonstellationen
man hört ihr körniges Rauschen
nichts aus der wirksamen Therapie

weit
öffnet sich die Wunde der Geheimnisse
und hilft nicht
weder Bewunderung noch Spott

als wären wir
die eigene Präsenz los

exotische Blumen
auf Plantagen der vor Kälte zitternden
Erde

przełożył Karl Grenzler

Berührung
[dotyk]

wunde geschwollene Hände
Empfindlichkeit des Fingerabdruckes

was berührten sie dass die abgezogene Haut leuchtet
wieviel Tage besänftigten sie schon

zähle obwohl die Zahlen
nicht immer die Wahrheit sagen
und Momente täuschen manchmal mit einem geheimen Pulsieren –
Kupplerinen der Versprechen

echt ist der Tropfen Blut
aus dem Ringfinger
erschöpfend in unseren Augen

scheinbar hilflos und stumm
fächtet Puls der Phantasie an flüstert:
ich bin – deine Angst
ich wecke das schlummernde Gewissen auf
ich präzisiere die Dimension der Menschheit

ich bin Kain
ich bin Abel
ich bin ein an Leukämie sterbendes Kind
Ich bin Metamorphose

przełożył Karl Grenzler

von den schwierigen Sachen
[z rzeczy trudnych]

sich selbst sein
als die letzte Brücke über den Fluss
zusammenbrach
und am Kai gibt es keinen Fährmann

wenn die Welt sich in meinen Augen
wie auf dem Karussell dreht
und das Herz
vom eisigen Wind erschüttert

wenn jemandes ausgestreckte Hand
sich zurückzieht
und mein Schritt erstarrt an der Schwelle

wenn die Tage
einander ähnlich werden
wie die namenlosen Gräber der Gefallenen

selbst sein
wenn man nicht mehr weiß wozu

przełożył Karl Grenzler

Sargporträt
[portret trumienny]

diese lange Reise
mit Gepäck der Geheimcode
der verworrenen Verbindlichkeiten
die Bereitschaft das eigene Gesicht aufzugeben
für den Preis des polierten Komforts
die Kunst den Schein zu wahren

die Tunnel fädeln sich auf die Dunkelheit
der Horizont verliert sich in den Augen
die ungültige Weite
der vertragliche Abstand

in das Geschenkpapier des Phantasiemangels
ist jeder nächste Moment gewickelt
das Mormorando der Trägheit

plötzlich beginnt die Zone
der Beschleunigung
die Selbstsicherheit schwindet
der Druck zerquetscht die Rippen
Kurzatmigkeit
der Spott der Luft

höchste Zeit
sich selbst geschickt zu entfernen
aus dem von Korrosion zerfressenen Hintergrund
und mit Schwung ins Bild zu springen
das niemand von uns erwartete

przełożył Karl Grenzler

Roulette
[ruletka]

wie wird in tausend Jahren
der hartnäckige Verlauf des menschlichen Kampfes
mit Fluss Himmel Stein?

vielleicht wird er über alle siegen
nur nicht über sich selbst

die Luft wird sich zusammenkauern
noch voll von seinen
keuchenden Atemzügen
der letzte Schritt bleibt hängen
über dem Schacht des Wahnsinns

die turbulente Welt wird vom
geheimnisvollen Lächeln
des Großen Croupiers durchbohrt

przełożył Karl Grenzler


Marek Danielkiewicz

Die Straße nach Kozłówka
[Droga do Kozłówki]

Der Galopp der Pferde, von ihnen eine flüchtige Spur im
Schnee
Saubere Manschetten der Reiter am frostigen Nachmittag
Wie lächerlich sind heute ihre finsteren Blicke in den Bart
hinein
obwohl ihre korrekte Aussprache Respekt weckt:
Les Polonais sont des Russes qui n’ont pas d’argent

An der Straße Linden in gleichmäßigen Reihen
denn das war ein Jahrhundert der Disziplin
die nicht von lokalen Revolutionen und Pogromen gestört
wurde

Die Frauen in rosafarbenen Korsetts
Die Männer erregt
wenn von der Jagd und vom Kartenspiel gesprochen wurde

Alles schien sicher zu sein
Haus, Tisch, Frau und Wodka
sowie die Nachrichten aus dem russischen Handelsblatt
Nachts Haussuchungen und Spitzel
Trotz der herbstlichen Jahreszeit und erster Fröste
Verschwörungen

In jüdischen Läden geräucherte Fische
Scheiben koscheren Fleisches und Salzheringe
Beim grauhaarigen Peretz aus Lubartów
gabs fast umsonst Knochen für die Suppe und Sauerkraut

Aus einem Haus am Markt I die Stimme eines Knaben
der dem Hauslehrer nachspricht:
Alef, Wejt, Gimel, Dalet, Hej, Waw…
Auf dem Tisch eine bauchige Petroleumlampe und ein
angebissenes Stück Kuchen
In der Ecke ein Schüreisen und eine eifersüchtige Katze

Ein Mann zählt Geldscheine als wollte er
den Gedanken an die Armut übertönen
Tatełe, tatełe – schreit ein Knabe
Weicht der Hand des Lehrers aus, der ein Richter sein will
Es gibt keine Gerechtigkeit – denkt das Kind
und erstarrt in Gleichgültigkeit
1988

Nachdichtung von Herbert Ulrich

Zum Gedenken an Georges Perec*
[Pamięci Georgesa Pereca]

Auf dem Altar zwei Pfauen
Fächeln mit den Schwänzen
Ein Hirsch eilt im dichten Wald dahin
Eine Ratte wuselt um eine Spalte herum
Beginn des Sabbats
Die Uhr zwitschert

Auf dem Kirkut zerschlagene Grabsteine
Und zerbrochene Bäume
Ich sammle Bruchstückchen von Glas
Der Regen wäscht mir die Hände

Die Synagoge abgerissen
An dieser Stelle ein Haufen Müll
Nachts ruft jemand
Die Toten hören nicht
Die Lebenden verstehen nicht

Nachdichtung von Herbert Ulrich

Porträt eines Jungen an seinem 16. Geburtstag
[Portret chłopaka w 16. rocznicę jego urodzin]

Die Mutter tat alles, um dir schon am Start das Leben zu verderben
Alkohol statt Griesbrei, fremde Männer die dir ins Gesicht hauchten

Du flohst von zu Hause und verbrachtest ganze Tage in der Bibliothek
Deinen Vater kanntest du nicht, obwohl er auf deinem
Gesicht das Autogramm eines Alkoholikers hinterließ

Der Winter 2006 war nicht frostig
Du überlebtest ihn in einer fremden Jacke und in zwei Nummern zu großen Schuhen –
Banale Sache, natürlich

Wenn du dich unterhieltest, maskiertest du die Bitterkeit in der Stimme
Deine ungewöhnlich weißen Zähne funkelten auf dem Bildschirm des Computers

Noch zwei Jahre und ich fliehe für immer nach England – schwörtest du dir
Aber das sagen alle Jungs im Städtchen
2007

Nachdichtung von Herbert Ulrich

Mutter
[Matka]

Sie erinnert sich ans Konzentrationslager in Buchenwald
Schreit im Schlaf
Als ob sie um ihre Sicherheit bangte
Einst band sie ihre Zöpfe mit einer seidenen Schleife
Fuhr mit der Kutsche in die Stadt
Spielte auf der Terasse mit dem kleinen Zamoyski
Sie warfen mit Nüssen
Daran erinnert sie sich gerührt
Nie beschwerte sie sich über Leiden
1942 überlebte sie den Typhus in Deutschland
Oft fragt sie mich, ob andere schon gestorben sind

Nachdichtung von Herbert Ulrich

Das Gleichgewicht wiedererlangen
[Złapać równowagę]

Sich an das Alter gewöhnen –
Wenn es nun schon so ist, dann soll es auch so sein
Vollkommen in jeder Hinsicht
Wie die grauen Haare in den Ohren
Die Rückenschmerzen und der Bluthochdruck

Seinen unangenehmen Geruch liebgewinnen
Und die Irritation über das Vergessen
Wo man die Brille hingelegt hat
Den Kugelschreiber und die Schlaftabletten

Nicht achten auf den fleckigen Kragen
Und auf den an den Ellbogen durchgescheuerten Pullover
Den man doch erst vor kurzem gekauft hatte –
Vor etwa dreißig Jahren

Reizvoll ist der Glaube an die Solidität der Gegenstände
Der in der Jugendzeit erworbenen
Als die Wolle noch aus Wolle war
Die Schuhe aus echtem Leder
Und der Tee nach der englischen Königin duftete

Sich abfinden mit der Demenz –
Mit etwas so Selbstverständlichem
Und in gewissem Sinne Unerlässlichen
Wie Karies der Zähne
Und Probleme mit der Potenz

Die Welt hat wichtigere Probleme um die Ohren:
Den Fall blutiger Regime
Den Bankrott der Developer
Turbulenzen an der Börse
Erneuerbare Energiequellen
Sowie ständige Computerviren
Und die Vogelgrippe

Deshalb muss man den Alter entgegenkommen –
Gemeinsam kann man es weit bringen
Wenn man alle paar Meter stehenbleibt, um Atem
zu schöpfen

(Am Todestag von Wisława Szymborska)

Nachdichtung von Herbert Ulrich


Zbigniew Włodzimierz Fronczek

Vier Verkörperungen von Sophie O.
[Cztery wcielenia Zofii O.]

    Sophie O. kenne ich vom Ansehen nach. Sie erschien an den Plätzen, die ich besonders mag und wo ich oft bin: im Cafe „Morgenstunde” oder im Kino „Kosmos” oder im Sachsenpark. Eines Tages las sie ihre Gedichte in der Buchhandlung „Albatros”. Sie ist also Dichterin, hat einen Ehemann, aber ob sie Kinder hat, weiss ich nicht. Ein Mal war ich in einer Bibliothek und sie trat mir in den Weg.
    – Ich weiss von dir mehr, als du denkst – sagte sie. Ich will, dass du auch etwas von mir weisst! Ich bin bereits zum vierten Mal auf dieser Welt! Verstehst du? Nein, du verstehst nicht! Also hör mal zu!

1.
1675 war ich eine spanische Prinzessin. Im Alter von 15 verliebte ich mich unglücklich. Unglücklich, denn es war ein Wandergaukler. Wir flohen nicht. Meine Eltern liessen mich ins Kloster gehen. Ich starb nach drei Jahren. Vor Verzweiflung und Trauer – erzählten manche. Meinem Tod folgten sechzehn Balladen, die bis heute gesungen werden und niemand weiss, dass ich eben deren Autorin bin. Gestern hörte ich eine im Radio. Von Georges Brassens gesungen.
2.
Hundert Jahre später erschien ich wieder. 1796, als ich sechzehn war und meinen ersten Ehemann hatte. Wir wanderten durch die Prärie Amerikas, am Fluss Agassiz erschoss ihn ein Indianer und skalpierte ihn vor meinen Augen. In dieser Zelt gerbte ich Leder und räucherte Fleisch. Meine Finger wurden dick, und meine Nägel immer härter. Ich dachte, ich werde zum Bären. Nein, nichts ähnliches passierte, aber irgendwann raubten uns fremde Männer, einer nahm unsere Pferde, der zweite unser Leder und Gewehr, der dritte mich. Gut war er für mich, nach neun Monaten starb ich im Wochenbett, und er beweinte meinen Tod.
Kannst du dir vorstellen, dass ich mich nach ihm sehne? Wie nach keinem anderen.
Woher weiss ich das? Aus Träumen! Ich erfahre immer neue Sachen!
3.
Vor 150 Jahren – alle waren von meinem klaren Scharfblick, meinen blonden Haaren und meiner schlanken Figur begeistert. Ich vermutete nicht, dass ich von einem Mörder erwürgt werden würde, den eine Geliebte meines Ehemannes beauftragt hatte. Er überraschte mich, als ich allein in der Küche war. Mit seinen schrecklichen Fingern drückte er meinen Hals zusammen. Schnell bemerkte ich, dass ich ihm gut gefiel, ich riss also mein Kleid auseinander, um meinen Busen zu entblößen. Er konnte nicht widerstehen, sie anzufassen. Als er an meinen Zärtlichkeiten Gefallen fand, schlug ich ihn mit einer Blumenvase. Leider, zu schwach. Er fiel nur für eine Weile in Ohnmacht. Ich konnte nicht fliehen. Gut, dass ich ihm Schmerzen zufügte. Er tötete mich nicht mehr nur ums Geld, sondern auch aus Hass. Ich litt nicht so sehr. Warum erzähle ich dir das? Du erinnerst mich an ihn.

przełożył Thomas Münch


Anna Goławska

Laternen
[latarnie]

Laternen sind Mädchen schmal in den Hüften
mit dem schweren Wasserkopf des Scheins
der ihnen dünne Hälse biegt

sie verursachen Wahnsinn bei Fluginsekten
und kehren den Nieselregen in den Himmel um
die zwitschernden Samenkörnchen

gehen abends in zu engen Kleidern aus
mit Rostflecken und klebrigem Gummi
ausgekaut von Heranwachsenden

um in der ganzen Nacht in Stille und ohne einen Schatten
der Klage
die böse mürrische Stadt
an den Lichtketteln zu halten

Nachdichtung von Janusz Golec

Supermarkt
[supermarket]

ich wohne in der Vorstadt
wo sich hinter gesichtslosen Autos
die Tore mit „security“ schließen
hier kenne ich keinen und Sie mein Herr
sind so unverändert offen und herzlich
Ihre innere Höflichkeitsverfassung
bürgt für das Gefühl völliger Sicherheit
wenn Sie mich vom Fischkühlschrank führen
durch die Aromadüfte
hin zu den heißen Teigstückchen
ich darf schauen berühren schmecken
Sie lassen mir Zeit für die Entscheidung
ich muss nichts Sie spornen mich nur an
und bieten mir jeweils ein anderes Ding
fast für umsonst
dennoch kosten Gefühle schon was

ich weiß Sie stehen nicht auf so Beziehungen
zu ausschließlich einer Frau
doch ich wünschte dass Sie mein Herr ein einziges Mal
Ihr rotes Brieflein
ausschließlich unter meiner Tür durchschieben

Nachdichtung von Róža Domašcyna
unter Mitarbeit von Janusz Golec

Die meisten Gegenstände einer Wohnung
[większość przedmiotów spotykanych
w mieszkaniu]

die meisten Gegenstände einer Wohnung
unterliegen letztlich der fortschreitenden Personifikation
insbesondere an den Abenden
beschatten mich im Flur Wohnzimmer und Band
acht elektrische Steckdosen
– in der Küche besitzen alle
einen Metallbolzen im Auge

ich greife mir den Korkenzieher bis er
die Arme hebt und senkt
über dem steifen Rock wie eine Frau
die auf dem Tisch tanzt
unter dem sich Knotiges und Jahresringe von Kiefern
zu einem boshaften Gesicht formen

ich stopfe ihm absichtlich den Rachen
mit dem Fuß der im Hausschuh steckt
einer Imitation des Leopardenfells

Nachdichtung von Róža Domašcyna
unter Mitarbeit von Janusz Golec

Agrigent
[Agrigento]

Agrigent fließt über das Tal der Tempel
reißt mit dem Schnabel Dorne von den fleischigen Blättern
der Opuntien ab
die abgekratzten Masten des Doms wackeln
in der Ferne glitzert die dunkle Schuppe des Meeres

mit der Gabel reichst du mir das weiße Fleisch des Dorsches
gequollene Rosinen und Wein im dünnen Glas
dann fangen wir an zu gehen
mit dem schwingenden Schritt der Seemänner
an vergoldetem Bord der Stadt
Hüfte zu Hüfte wie siamesische Zwillinge
von Zeit zu Zeit küsst du mich
mit den nach Fisch schmeckenden Lippen
von den an den Straßen angelegten Bänken aus
schauen uns beigefarbige Katzen an
die sich niemals satt gefressen haben

am Morgen wenn an den Bord der Stadt
die erste Sonnenwelle stürmt
schläfst du im Bettlacken verwickelt
vom Baum reißt sich eine verfaulte Orange ab
die Raumplfegerin klopft an die Tür

Nachdichtung von Janusz Golec

Piza
[Piza]

Ich fotografiere sie wenn sie sich mit dem Rücken kehren
zum Polizisten der durch das Tor der Stadt gegangen ist
wie man über die Schwelle einer Haustür geht
oder auf den Balkon für eine Zigarette

Niemand gerät in Panik alles sieht aus
wie ein gut geprobtes Theaterstück
Sie verstecken in die schwarzen Müllsäcke
die piepsenden Plüschtierchen der rolex von dolce gabbana
und die schiefen Türme aus Plaste/Elaste und er schaut
auf den azurblauen Himmel hin und verhüllt sich mit einer
Rauchwolke

Wenn sie sehen dass ich ihnen ein Foto mache
erheben sie ihre Hand zum Gruß
sie lächeln mich aber nicht an
und versuchen mir nicht einmal Korallen zu verkaufen
für einen Euro den ich in meiner Tasche habe
auf alle Fälle

Nachdichtung von Janusz Golec


Magdalena Jankowska

Manöver
[Manewry]

als Kinder spielten wir Krieg
heute erklären wir den Waffenstillstand

und frühstücken im Gras
des Truppenübungsplatzes

nirgends Schützengräben
nirgends ein Verhau

es salutieren die Brustwarzen
in den Schirmen der Handflächen

Nachdichtung von Róža Domašcyna
unter Mitarbeit von Janusz Golec

Zwei Herzen
[Dwa serca]

wenn er ein Gedicht liest
das er übersetzte
hört man dass er ein Herz
für diese Arbeit hat

wenn er ein Gedicht liest
das er selber schrieb
hört man dass ihm das Herz
bis zum Hals schlägt

Nachdichtung von Róža Domašcyna unter Mitarbeit
von Janusz Golec

***
[*** omdlałe liniie pagórków]
schlaffe Hügellinien

weiche Talvertiefungen
der Körper nach der Liebe wenn der Schlaf
übergeht in den Tod
der ihn aufblühen lässt

Nachdichtung von Róža Domašcyna unter Mitarbeit
von Janusz Golec

Oma
[babcia]

So sie haben aufgehört sie zu pflegen
ihre Nächsten in vergoldeten Rahmen
die bunten Erinnerungen
sind auf den persischen Teppichen abgeflogen
die silbernen Teelöffel wie die Vögel zogen davon auf ihrem Zug
die Hüte nisteten sich ein
auf den Köpfen der Enkelinnen
vor dem Winter ergriffen Füchse Otter und Bisamratten die Flucht
lediglich die nackten Bügel dadurch berührt zitterten
selbst der Schrank drehte ihr den Rücken zu
als er in dem Transporter verschwand
nur die leeren Koffer blieben
so fiel es ihr leichter zu gehen

przełożyła Erika Stöppler

Die Stimme aus dem Grenzland
[głos z pogranicza]

noch schaue ich sie mit Vergnügen an
und ihre kurzen Röcke ärgern mich noch nicht
da sie so gut genau ist – denke und die
ihr folgenden Blicke der Männer nehme ich noch wahr
ohne Neid
oder doch ?

przełożyła Erika Stöppler

Das Problem
[Problem]

Aus welcher Entfernung beginnt die Wärme
der Menschaut zu frösten? Inwieweit
isoliert eingesenkter Blick? Und um wieviel
wird die Last dieser wenigen
Augenblicke leichter durch das Herausziehen
des Schlüssels das Zurechtrücken
des Haares das Überprüfen der Uhrzeit?
Es ist gewiss ein umfangreiches Problem
das sich aber gern in das enge Innern eines Fahrstuhls
reinschieben lässt

przełożyła Erika Stöppler

Grenze
[granica]

„Und in diesem Jahr habe ich es irgendwie nicht geschafft”
– erwidert die Nachbarin meiner Mutter
die das Thema Apfelmus angesprochen hat
die Nachbarin war dafür in der ganzen Gegend berühmt
und jetzt wissen schon alle darüber dass sie bald stirbt
nur sie weiß noch nichts von ihrem Tumor
und dieses Jahr betrachtet sie als eines von vielen
als sie hinter dem Drahtzaun der die Grundstücke trennt
mit meiner Mutter redet die wohl auf der besseren Seite steht
mit guten Aussichter für das Apfelmus im kommenden Jahr

przełożyła Erika Stöppler

Kindheit
[dzieciństwo]

Ein kleines Händchen voll Sand
und ein zu hoher Zaun
über ihm eine strahlende
Sonnenblume
manchmal ganz bewölkt
von einer Spatzenschar
im Winter noch weniger
und doch von daher kenne ich
den unverwechselbaren Geschmack
des angebissenen Apfels
der Erkenntnis
…es musste doch
das Paradies gewesen sein

przełożyła Erika Stöppler

Bilanz
[Bilans]

Aus Angst vor Entstellung
für den Schick
einer Saison der emanzipierten Frauen
aus Angst von Schmerz
in Form eines Protests
oder aus anderen Gründen
verzichtete sie darauf
und nur die Gedichte
lässen sie nachts nicht schlafen
sie fordern ständige Wachsamkeit ein
sie zwingen zur Aufopferung und zum Verzicht
stets korrigiert verwirren sie den Sinn
der einfachsten Worte
indem sie fortwährend fragen
warum?
warum?

przełożyła Erika Stöppler

Das Flehen
[błaganie]

Gesegnete Mutter
des Josef liebe Frau
und du treuer Mann
zärtlicher Betreuer
Gottessohn Menschensohn
in deinem Leiden ohne Rachsucht
schaut in unsere Häuser
helft unseren Kindern
für die wir uns gebunden haben
in ein schweres Kreuz

przełożyła Erika Stöppler

Aus der Mythologie
[z mitologii]

das sind sie
die ewigen Götter
der Frauenreligionen
– unsere ersten Jungs

przełożyła Erika Stöppler

Eine Schwangere betrachtet ihren Bauch
[brzemienna ogląda swój brzuch]

zurecht sagt man, dass die Liebe eine Wiedergeburt ist
irgendwie verändert sie plötzlich das Blickfeld
sie zeichnet neue Horizonte
mit einer Linie
in deren Mitte ein Nabel eingedrückt ist

przełożyła Erika Stöppler

Die Maße
[Miary]

Damals als Opa starb
Ein Jahr nach Wojteks Trauung
Mitte Mai
Da wir zu der Tante gingen
Mit Flieder die zu Sophie gerade blühen
Die wahrhaftigsten Maße –
Wie wir unabänderlich
Wie wir vergänglich

przełożyła Erika Stöppler

Auf dem Balkon
[Na balkonie]

gleichmäßig vermischt Dunkelheit und Licht
die Wärme des Tages und die Kühle der Nacht
die ganze Palette der Düfte
der Frieden der Sonnenabende
das Wasser rieselt aus den Blumenkästen
in wechselhaften Rytmus der Tröpfen
aus den Fernsehkästen rieseln
schreckliche Nachrichten Attentate Überfälle Naturkatastrophen
angefangene Kriege
wie sollte man sich nicht unter diesen Geranien
wie ein Schmetterling fühlen

przełożyła Erika Stöppler

Die ersten Unterrichtsstunden
[Pierwsze lekcje]

Die Bonbons verschwanden
in einer Blutwolke
ihre Vollmondphase verging
Und die Sichel des letzten Viertelmondes
zerschnitt die Zunge
noch voller Süße

przełożyła Erika Stöppler

***
[kochanka…]

Liebhaberin
wie dauerhaft bin ich doch
wie ewig
angesichts all dieser
Einwegtaschentücher
Einwegnadeln
Streichhölzer Rasierklingen Zeitungen
Fahrscheine
zum mehrmaligen Verbrauch bestimmt

przełożyła Erika Stöppler

***
[Ich dłonie…]

Ihre Hände sind wie Flammen
und ihre Körper – flüssiger Wachs
das abkühlen wird
in zwei getrennte Gestalten

przełożyła Erika Stöppler


Ewa Mazur

Die Barden der Revolution
[Bardowie rewolucji]

lassen nicht von ihren Kanzonen
umstellt von Grüppchen Erlöster
Die Tanten der Revolution
verteilen Einladungen zum Tee
vor dem Weggang des letzten Gastes
zählen sie diskret die Löffel
Die Väter der Revolution
schließen beim Sprechen die Augen
damit der Beichtvater ihre Furcht nicht sieht
Die Kinder der Revolution
tragen in den Brusttaschen Pässe
die frischer sind als der Morgen
Die Enkel der Revolution
wechseln andauernd das Standbein
Die Barden der Revolution
lassen nicht von ihren Kanzonen
umstellt von Grüppchen Erlöster

przełożyła Róža Domašcyna



Waldemar Michalski

Auf der Reise in den Osten
[Z podróży na Wschód]

(Fragmente des Zyklus)

Von den zwei Beduinn, die in meinem Gefolge lagerten,
sprang jeder auf einen höheren Stein, hockte sich
und gab mir die Hand… und so ging ich lange…*
Juliusz Słowacki

Jaffa

Jaffa in der Nacht wie ein Traum
in der Wüste – da sein und leben
die Kunst des auserwählten Stammes
und in der Nacht sind Bäume keine Bäume
Häuser sind keine Häuser
wie Jona ausgespien
am Seeufer – das Zeugnis
der Hochmütigen und Unsterblichen
der Biblischen und der Heutigen.
der polnische Jude von der Aleja Róż in Warschau
Antoni Słonimski sagte es mir
ehe ich selbst es sah
und glaubte: Jaffa in der Nacht
– der Traum der sich erfüllte.

See Genezareth

Unter dem Baum betet
der Apostel mit dem langen Bart
er kam von fern
seine Sprache war anders und dennoch vertraut.
Im Wasserspiegel ist die Stille von Jahrhunderten
und der Stein – ein stummer Zeuge
am grünen Ufer legt ein Boote an
wie eine Wiege aufgehängt auf den Wellen
einmal näher einmal ferner
ist eine neue Offenbarung nötig?
Herr, hier bin ich,
warum schwimmst du fort?

Nazareth

Zuerst in die Synagoge
dann zum Gewürzmarkt
Pfeffer Paprika schmackhaftes Getreide
Ein palästinensisches Mädchen
wie von einem Madonnenbild
zählt Schekel
Sein heißt Haben
niemand denkt an den Galgenhügel
an Exil ohne Schuld.
Am Morgen – alles kehrt zur Normalität zurück –
ist es ein Garten
frühlingshafter Farben

Haifa

Hafen für Irrfahrer des Meeres
auf der Reede Schiffe voll mit Getreide und Öl
und seit Jahrhunderten
die grünen Weinberge des Karmel

Im Kloster ein französisches Frühstück
voll raffinierter Eleganz
und gutem Appetit

Der Prophet Elia aus der klösterlichen Grotte
fordert Versöhnung
nicht jedermanns Geschmack
es zu verdauen:
Nichts über uns, was gegen uns ist!

Über den Köpfen umreißen moderne Jäger
am Himmel das Zeichen des Kreuzes –
aber das Kreuz ist kein Omen
der Hoffnung.

Jordan

Der weite Ozean – die nahe Wüste
den letzten Tropfen trank der Fluss
wir kommen barfuss und nackt
den Kopf in den Schultern vergraben
Johannes schöpft Wasser mit der Hand
und das Wort wird zum Zeichen
hier am Jordan
heute, moderner
als das Gespenst des Kreuzes
irgendwo hinter den Bergen
hinter dem Rücken
im Herzen, durchbohrt von einem Speer.

Totes Meer

Wenn die Hölle salzig wäre
dann stündest du an ihren Ufern
sie saugt Sodom und Gomorrha auf
und wartet geduldig.
Kein Stern fällt auf ihre
ausgebrannte Schüssel.

Wir waschen den letzten Tropfen
Salz werde zu Salz
du kamst, die Wahrheit zu berühren:
Sie ist in dir.

Betlehem

Zieh den Kopf ein,
wenn du keine Beule möchtest
das Tor wie ein Nadelöhr
mit einer Kerze hierher zu kommen
bedeutet, deine Handflächen zu erhellen
Gott zurückzugeben, was Gottes ist
das Haus mit seiner Freude zu füllen
das Hotel ist nicht jedermanns Schicksal.

Zur Reise nach Betlehem
schreib dich heute schon ein
nochmal, wie gestern
das Grundbuch
kennt viele Namen,
deinen auch?

Tal der Hirten

Beduinen, stets auf dem Rückzug
Steinhütten, Kamele, Wüste
aus den Klippen sprudelt kein Wasser
der Wachholder fängt kein Feuer
Manna und Fisch sind hart verdient
wie es im Leben
immer schwerer wird
das verlorene Schaf zu finden
Betlehem ist in der Nähe
der Stern auch?

Jerusalem

Stein auf Stein – Fels auf Fels
die Erinnerung in Davids Stadt markiert
den Beginn und darüber hinaus
was ist und war –
verwinkelte Gassen hohe Tore
die Rufe des Muezzins
farbenfrohe Krämerläden
an der Wand die Mutter Gottes
ein alter Jude mit seinem Enkel
steckt Kärtchen in eine Ritze
die Anschrift ist bekannt, die Bitte vertraut

Die Pilger tragen ihr Kreuz auf den Schultern
mit dem Taschentuch wartet Veronika
die Prozession geht nach Golgatha –
morgen schreibe ich in die Chronik der Welt:
Jerusalem lebt!

przełożył Dieter Kalka

Königsstadt
[Miasto z królewską metryką]

Lange habe ich auf diese Begegnung gewartet
Im Hotel las ich das Gedicht des jungen
Poeten und der Weg zur Galerie mit
den jahrhundertealten Portraits schien mir kürzer.

Ich versuchte zu übersetzen und zuzuhören
warum sich das Licht abwandte
vom Himmelsturm in der Kastanienallee
wo gerade der Frühling erwachte.

Herr, segne jenen, die geblieben sind,
ihre Anwesenheit, die wie ein Denkmal dauert –
der von den Knien ausgescheuerte Stein
bedeutet mehr als die Worte des Rosenkranzes.

Diese Stadt heißt Semper Fidelis*
und der Führer mit dem Stab – wie Moses
liest im Stein Namen und Daten:
Die geheimnisvolle Sphinx** vor dem Rathaus überdauert.

Nachdichtung von Dieter Kalka

* Semper Fidelis bezieht sich auf Lwow/Lemberg (lat. Leopolis).
** Die Sphinx eine Andeutung an die Löwensymbolik der Stadt.

In Paris
[W Paryżu]

Vor der Kathedrale Notre Dame
entdeckte ich meinen Julius*
in weißen Pluderhosen
Mokkasins und Schnürschuhen mit hohen Absätzen
da ist er – inmitten der Wartenden
am Eingang ins Innre der Mutterkirche.

Über uns Steinbrunnen
Portale Rosetten Gesimse –
wie Ameisen strömen wir ins Nest
wie Barbaren trampeln wir auf die Altäre
auf denen noch heute
Brot und Wort gegeben werden,
wichtiger als der Felsstein des Gebäudes.

Das Geschenk für die Freunde:
Pariser Luft in Dosen
die Schnalle eines Büstenhalters – eine echte Kopie des
Kreuzes
und Karten vom Turm, wie ein Giraffenhals –
schwimmende Galeeren fliegen
goldnen und silbernen Blättern entgegen
wir suchen Weiden an der Seine.

Dein Krzemieniec passt nicht ins Denken der Politiker.
Das Hotel Lambert ist auch schon verkauft
nur in den Uferkaffees
gibt’s was für Körper und Geist
wie Norwids Ruhm: zwanzig Jahre
für einen glücklichen Tag.

Vom Place de la Concorde kehre ich
mit dem ersten Bus nach Hause zurück.

(Halteplatz, 28.07.1997)

*15 Julius Słowacki – polnischer Poet aus Krzemieniec.

Nachdichtung von Dieter Kalka

Primavera
[Primavera]

Nachts träume ich von der Galerie Borghese
wir beide laufen zwischen römischen Wasserspielen.
Fürchte dich nicht. Ich bin wie ein Hund
der, lauernd auf Seifenblasen, wartet.

Ich lüge, wenn ich sage, dass ich dich immer noch liebe.
Morgens wachen wir hungrig auf. Zwischen Holzjalousien
sticht die Sonne – strahlend und ausgeruht
als wäre nie etwas gewesen.
Du hast vom Gottesschiff die schlanken
Alabasterschultern, darin ein Herz.

Glück – es erfüllt sich zu zweit
die Dummen wissen es – die Auserwählten haben’s erfahren.

Nachdichtung von Dieter Kalka


Dominik Opolski

Wägelchen
[Wózek]

Sie sind eins mit dem Rad, das sich dreht gegen ein
Ziel in ihren Augen Das erste Licht, das auf sie
Fiel, würde ihre Pupille blenden und sie sahen nicht
Die eine Fessel, die jeden hält im kleine Wagen –

Diese Welt bleibt immer diesseits ihrer Spur
Freiheit herrscht nur zwischen den Durchsagen;
Wie soll man je das Echo hören im kleinen Wagen
Sie erneuern den Bund mit jedem Schlag der Uhr –

Wägelchen im Staub des Schnitters
Er läßt seine gegerbte Haut zurück, zerrieben
Bis auf die Sehnen mißt er das Sinken der Dinge:
– Wen Wagen und Weg wiegen, der sieht nicht
Das Spurlose, das ihn hinübernähme ins Blaue
– Das offen liegt
Wie eine Ader –
geöffnet mit der Klinge.

przełożył Radjo Monk


Wacław Oszajca

Psalm der Ängstlichen
[Psalm bojących się grzechu]

Gesündigt haben wir nicht gegen dich.
Nicht befleckt sind wir vom Blut der andern.
Die grüne Seele haben wir nicht aus der harten Brust der Bäume gerissen.
Feuer unters fremde Haus hat unsre Hand nicht gelegt
und unsere Zunge sprach kein hassendes Wort,
keinen Zaun zog sie um den guten Namen des Nachbarn.
Unsere Lippen bespuckten keines Feindes Gesicht,
unsere Hände trugen nie ein Maschinengewehr,
nie steuerten sie einen Bomber!
Kein Banküberfall lastet auf uns, keine Schuld.
Nicht vergewaltigten wir unserer Freunde Töchter.
Nicht verführten wir die Frauen unserer Kollegen.
Erbarme dich, Herr, über uns: wir gingen durch die Welt, hinterließen
nicht die geringste Spur

przełożył Norbert Weiß

es fiel auf einen Sonntag
[wypadło w niedzielę]

Mutter wollte nicht
den Ablauf der Wochentage stören
weshalb sie mich am Sonntag gebar
um keinen einzigen Menschen
Leib und Seele zu verkaufen
gelobte ich Zölibat
um nicht wie ein Zunderpilz
am Astwerk fest zu wachsen
baute ich kein Haus

heute bin ich gewiss, dass ich gesündigt habe
denn wahrhaftig es gibt kein Haus
und darin keine Frau für die
ich der erste und der letzte wäre
und kein Kind
das schönste und klügste
unter allen Kindern

also tat ich schlecht
Sünde ist es zu schmälern das Wunder
sei es nur um den dürftigen Abglanz des Scheins
nichts kann man tun
immer vor mächtiger Sonne
verberge ich mich im Schatten
dort pulst das Leben

Nachdichtung von Norbert Weiß unter Mitarbeit von Janusz Golec

Schlußstein
[zwornik]

ja
so bin ich also die Grenze des Lichts
in mir laufen Ost und West zusammen
Nord und Süd
es reicht ein einziger Schritt von mir
und schon habe ich ihn verschoben
ihn in mir versetzt den Schlußstein
des Magnetismus und des Lichts
so bin ich also
die Urerde und der Urozean
der Anfang des Lebens in Feuer und Wasser
in Geist und Körper
so taufe ich sacrum und profanum zugleich
dich Gott mit dem Namen
den ich unablässig rate
ich ein Mensch der dir und sich selbst
zum Bild und Abbild wird
tue das
leidend vor Freude
daß ich weiß
ohne zu wissen

Nachdichtung von Maria Zähres

das jüngste Gericht
[sądny dzień]

du aber wirst mich nichts fragen
wenn ich vor dir stehe
du der alles schon weiß

so frage ich dich
warum wir ein Leben lang
essen mussten jemandes Leib
trinken jemandes Blut
denn so sieht sie aus unsre Liebe

weil du uns nichts schuldig bist
sag
warum lauten
die letzten Worte
im ältesten Evangelium
der frohen Botschaft letzter Satz
mein Gott
mein Gott
warum hast du mich verlassen

Nachdichtung von Norbert Weiß
unter Mitarbeit von Janusz Golec

Frühlingslandschaft
[pejzaż wiosenny]

Der blutjunge Rumäne
ein guter Hirte
greift sich das einjährige Lamm

ein prachtvolles Lämmchen
wie hitzig wäre dieses Lamm
am Morgen schärfte er das Messer an einem Kiesel
dünn wie ein Birkenblättchen
wie das Flügelchen einer Libelle

behutsam hebt er auf die Schulter das Lamm
trägt es hinaus aus der Hütte
den Berghang hinauf
in die Weite des Tals
das im Osten ein Kloster verschließt
den Sternen zur Schau und dem Mond
und
er öffnet mit einem Schnitt
den Hals des Lamms

zweimal zucken die Hufe
alleluja

Nachdichtung von Norbert Weiß
unter Mitarbeit von Janusz Golec

Dr. Maria
[dr Maria]

du liebst die Verrückten
die bunten Herumstreuner
Süchtigen und Alkoholiker
Menschen
denen die Welt toll wurde
die Fische weinen hören
aber die menschliche Sprache nicht verstehen
des öfteren wandernde Berge sehen
über das Meer gehen wie über einen Tisch
die Erde über dem Kopf haben
den Himmel unter den Füßen
durch den Wald gehen
ohne den Bäumen auszuweichen

aber zur weit geöffneten Tür
können sie nicht finden

Nachdichtung von Maria Zähres


Bohdan Zadura

Entwachsen bin ich
[Z czego wyrosłem]

einer Intelligenzija-Sippe
erster Generation

der Krabbelgruppe

homoerectus

dem Feinfellmäntelchen
dem Kniestrumpfalter
der Kinderwagenmütze

dem Traum von einer Tarnkappe

von einer Morgenlatte
die falls überhaupt noch möglich
nur so kurz noch aufragt
dass ich sie nicht verbergen muss

entwachsen von der Todesangst
(als Kind noch litt ich Ängste
vor Lebensschluß zu sterben
und nun – seht selbst sehr selbst)

vom Pingpongspiel
vom Kugelstoßen
vom Tennis gar

vom Traum
mit einer Goldmedaille
auf der Olympiade
1960
beim 5000-Meter-Lauf

vom Radfahren
vom Bridge
vom Steuern eines Wagens
(ich habe meinen Führerschein zwar nicht verloren
doch fährt mein Wagen keinen Meter mehr)

vom Glauben
weil wohl Gott
eher im Gewölk ist
als im gebleichten Himmel

von der Überzeugung
dass gelungene Gedichte
mehr Freude machen als
der Anblick eines geilen Hinterns
Nachdichtung von Wilhelm Bartsch

unter Mitarbeit von Janusz Golec

Särge von IKEA
[Trumny z Ikei]

„Ford transit gloria mundi!“ doch der Ford K macht es nicht
und für den Transit ist es zu spät schon und mit dieser Superwerbung
machen wir kein Geld, um diesen Schlitten uns zu kaufen
am besten den knallroten wie ein Spielzeug

wie eine Raumkapsel, die rot lackiert ist,
mit einem schwarzen Haarschopf, nur: wo ist der Priesterkragen
von Gérard Philipe, wenn der den trägt
in Stendhals „Rot und Schwarz“ – wann aber starb der

Mein Gott, das war ja noch zu meiner Abiturzeit
und vom K-Ford hat da doch keiner schon geträumt
weder der Stylist noch der Visagist Gérard Philipes
noch ein Kreativdirektor selbst von Ford

Ich lernte Schlittschuhlaufen noch
mit achtundzwanzig Jahren
ich lernte schwimmen erst mit dreißig
Weiter im Text? Dann mit den Schlittschuhn

Einmal in einem Schneewinter gab` s Schneeschlittschuhe
so viele wie Schneebeeren oder Uferschwalben
aus Duraluminium – für sturblöde Kinder mit zwei stumpfen
Kufen? Schlittschuh ist Schlittschuh, nenn` s wie du willst

Es war also kein Lauf, war mehr ein Gang
im weichen Schnee, denn wie sonst soll in einer Kleinstadt
jemand den Schnee zusammenstampfen und
zum Brunnen kommen und das Eingangstor ausgraben

Stahl man dir die Schlittschuh nicht beim Dreikönigsfest
wartetest du auf das große Tauwetter
Alles wickelte und schnallte man sich um die Schuhe
Schuh und Schlittschuh waren aber nicht dasselbe

Also: mit achtundzwanzig Schlittschuhgehen
und herumkurven im sturen Landkreis Skoków
mit dreißig schwimmen und dann lange lange gar nichts
und dann vor einem Monat erst: IKEA

ein dicker Wald aus hellem Holz, dort halte
stets Ariadne fest, denn wenn du loslässt
kommst du nicht wieder raus, nur durch das Dach
und deine Augen spreizen sich wie Beine auf dem Eis

und Jalousien und Gardinen trüben deinen Geist
auch karierte und gestreifte Kissen Kisschen Plüschtierzeug
Steppdecken Schonbezüge Schränke kleine Schränke Schränkchen
Becher Tassen Krüge Kännchen kommen blöden Geist ausgießen

Glocken Glöckchen Tische Hocker
Holzschrauben Henkel Knäufe und Scharniere
Uhren Lampen Kerzen Rahmen Wechselrahmen Rähmchen
Sessel Bänke und vor allem Leisten Leisten Leisten Leisten

wirbeln dir vor Augen wie die Wipfel hoher Kiefern:
in einem Sowjetfilm der Held stirbt unterm Kugelhagel der Faschisten
und/oder du kriegst Sex noch mit der Sanitäterin – und ich dachte
plötzlich, dass hier doch was fehlt, denn käme es dazu

dass sie mich wundversorgen, dann zur Not begraben müsste,
hätten wir bei allem Unglück vorher noch unser Vergnügen

Nachdichtung von Wilhelm Bartsch
unter Mitarbeit von Janusz Golec

Priester Kijańczuk
[Ksiądz Kijańczuk]

Er war Pfarrer einer anderen Gemeinde,
aus Włostowice
und half dem Amtsbruder in Górka
vor Ostern

In den Fünfzigern
gab es auch Religionsunterricht
in der Schule
und Exerzitien
allerdings nur nachmittags

Er erlegte allen hohe Bußen auf
nicht nur paar Vaterunser und Ave-Maria
sondern satzweise Rosenkranzgebete
und das drei Tage lang

Diese Auferlegungen
waren unabhängig von den Sünden
und man kann sagen: ganz pauschal

In dieser Handelsbörse aber
setzten alle
auf seinen Beichtstuhl

Niemand klopfte derart laut
nach der Absolution
wie er

der Stocktaube

Nachdichtung von Wilhelm Bartsch unter Mitarbeit von Janusz Golec

Ein heiliger Ort. Rauchen verboten
[Miejsce święte. Zakaz palenia]

So weit ist es nun gekommen? Du gehst zum Friedhof und dort siehst du
so was wie ein Durchgangsverbotsschild mit durchgestrichener Zigarette,
darunter: „Heiliger Ort. Rauchen verboten!“ Mädchen, Mystikerinnen
meditieren in der Schul-Kapelle und Gymnastikerinnen üben im Turnsaal Salto und
Spagat und Körperpyramiden – aus diesen Mystikgruppen kommt
vielleicht
mal ein Supertalent fürs Stigma und unser Vaterland
kann stolz drauf sein und ganz zu schweigen
noch unsere Schule – spannt an und lockert euch
es wird geboren und es kommt noch wie gerufen
wie Zucker-Ei schmeckt Arbeit an sich selbst
in langen Nächten in den Internaten

Und daran denkt man in der Grabkapelle?
Süße Floskeln aus den fremden Mündern,
bist du gebenedeit unter den Frauen

Schnee liegt als Zuckerguß auf dem Eclair des Sarges

Nachdichtung von Wilhelm Bartsch
unter Mitarbeit von Janusz Golec

Fünf vor zwölf
[Za pięć dwunasta]

der Tod bietet uns grossere Auswahlmöglichkeiten
deswegen fragen wir woran er gestorben ist und nicht
woran er geboren wurde

przełożył Leszek Sobkiewicz

Dezemberabend
[Grudniowy wieczór]

Aus dem Zugfenster
sah ich ein Schild mit der Aufschrift
INTERNATIONALER PARK DES FRIEDENS
UND DER VÖLKERFREUNDSCHAFT
GEFALLENENFRIEDHOF

Im Fenster einer Buchhandlung
sah ich das Buch
PROPHEZEIUNGEN UND VISIONEN
VOM WELTENDE UND POLENS WOHLERGEHEN

Von zuhause aus
bin ich kopfkrank

eine Bitte, Amerika

könntest du nicht
deine Mythen
bei dir zuhause in Erfüllung gehen lassen?

przełożył Andreas Reimann

Budapest
[Budapeszt]

ich erinnere mich noch
an die Fahrt mit dem Zweier
von der Freiheitsbrücke
zur Margaretenbrücke
vierzig Jahre alt

ich sah die Leute
an weißen
Tischchen auf weißen
Stühlen sitzen
und fühlte
dort ist
das richtige Leben

ich erinnere mich noch
wie ich mich an ein
weißes Tischchen setzte
auf einen weißen Stuhl
Espresso trank
und Eis aß
vierzig Jahre alt

Ich sah die Leute
Trambahn fahren
von der Freiheitsbrücke
zur Margaretenbrücke
und fühlte
dort in der Trambahn ist
das wirkliche Leben

przełożyła Doreen Daume

Motiv unbekannt
[Nieznane motywy]

Zerschlagene Kioskscheibe
und bräunliche Blutspuren
die sich irgendwo am Bahnhof verlieren

So viel blieb von der Geschichte der Nacht
Sonne in Glassplittern bräunliche Flecken auf dem Gehsteig

przełożył Henryk Bereska

Der Samstag, an dem Andrzej Kijowski starb
[Sobota, kiedy umarł Andrzej Kijowski]

Rose, Zigarettenstummel, Speisekarte
der Milchbar – so viel sehe ich,
an einer Bushaltestelle sitzend.
Woran ich denke, erklären wir als unwesentlich –
das könnte keinen positiv motivieren.

przełożył Henryk Bereska

Schwarze Flaggen
[Czarne flagi]

Für Otto Orbán

Auf dem Gebäude der Wissenschaftsakademie hängt
eine schwarze Flagge Am Vormittag
war sie noch nicht da Oder du nahmst sie nicht wahr
Andre Länder andre Sitten Mit den Jahren

ist der Mensch verurteilt zu vergleichen
Am Strand von Sozopol bedeutete eine schwarze
Flagge nicht daß jemand ertrank
(Als sie ihn ans Ufer trugen war das Meer ruhig)

Alles wird irgendwie zum Echo
selbst wenn das nur ein stummes Bild ist
ein weggespülter Ring eine gefundene Brosche

Im Abstand von wenigen Tagen starb der Primas und die Schönheitskönigin
des Landes beging Selbstmord Ich sage zu Otto auf Englisch
diese Poesie ist traurig Und er antwortet I’m a lucky man

przełożył Andreas Reimann

Wo ist die Poesie
[Gdzie jest poezja]

Einmal schrie ich
die Worte sind wichtig
Entweder war ich dessen sicher
oder ich wollte es mir
einreden

Die Poesie ist dort
wo niemand sie sucht
In Fernsehsendungen
für Dörfler
in denen geplaudert wird
über die Herdenauffrischung
und die sanftmütigen Schäfchen
eingeflogen aus Australien
wissen nicht einmal
daß wir sie in Augenschein nehmen

Die Poesie ist in Briefen
aus dem Vatikan
in denen
von der führenden Kraft
der Solidarität die Rede ist
und die Schwarze Madonna
eingeladen wird auf alle
polnischen Friedhöfe

Der Profis bedarf sie nicht
Sie ist wahrhaftig überall

przełożył Andreas Reimann

Der Salon (Damen – Herren)
[Zakład (damsko-męski)]

der Mann war nicht da
und ich entschied mich für die Frau
da ich nun schon einmal dort war

eigentlich für das Mädchen
groß und schlank
mit kurzem Pony

sie arbeitete noch nicht lange hier
ich sah sie wahrscheinlich
zum dritten Mal

ich wusste dass sie noch lernt
sie war um ein
Drittel billiger

wie?
fragte sie als ich mich setzte
er hätte es gewusst

hätte höchstens gefragt
wie immer?

ein Kopfnicken hätte genügt

doch der Anblick
des an ihrer rechten Hüfte
am lockeren Gürtel hängenden
Halfters mit fünf Paar
Scheren
heiterte mich auf

przełożyła Doreen Daume

Tortengabeln
[Widelczyki do ciasta]

In diesen Nebel den man mit dem Messer schneiden kann
wie eine Baisertorte nur ohne dieses erregende Knirschen
wenn sich das Messer in den süßen Firnschnee vertieft
dringen wir ein wie in Butter und er füllt
den Raum zwischen uns aus
Und ich denke daran
wie einfach es wäre jetzt auf Flohmärkten zu stehlen
sogar in Läden aber du lebst ja nicht vom Plündern
eher bestiehlst du zeitweise das Leben existierst um zu stehlen aus Übermut

In den Menschen bewundere ich jenes Lächeln
das über den Sinn für Humor hinausgeht
den es nebenbei verwundert bestätigt
und die penible Freigebigkeit beim Verteilen der Beute
die mathematische Präzision mit der du die Geschädigten
beschenkst Den Herrgott in Verlegenheit zu bringen
ist eine Kunst Es ist etwas Verdächtiges – so meine ich heute –
wenn der heilige Franziskus zum Löwen
Bruder sagt wenn er mit Schlangen spricht
und Wölfe ihm die Füße lecken In diesem Bild fehlen wirklich
nur noch Blumen
die ihm verschüchtert in die Augen schauen in grenzenloser Verehrung Hätte er doch so
zur Kakerlake Bruder gesagt
die über das Schälchen mit Pudding kriecht
hätte er doch Entschuldigung mit Madenwürmern gesprochen
und Schwester gesagt zur Wanze die hinter der Hoteltapete
herausgekommen ist und zögernd an der Decke pendelt
spring Schwester alle Freuden sind auf meiner Seite

Siehst du was mir durch den Kopf läuft Aber losflennen
wenn die Türen geschlossen sind das Telefon schweigt
würde bedeuten alle höheren Schulen zu kompromittieren
deren Diplome man mit dem Stolz trägt
der ihnen zusteht

es würde bedeuten zum Löwen Bruder zu sagen in der Hoffnung
daß es die Verkäuferinnen die du bestohlen hast die Händler von Gasfeuerzeugen
und Pistolen die Krankenschwestern und Telefonistinnen sogar die rumänischen Zigeuner
die vor einer Woche hier ankamen scheinbar wahrheitsgetreu wiederholen
da dieser Bericht weitergereicht wird: er ist ein Bruder des Löwen

es hieße die Schuld bei anderen zu suchen obwohl sie
wie ein Stück Baisertorte liegt
auf dem Tellerchen mit der Sauerkirsche
und einem Stückchen Orange

Bis zum Mittag kochte das Wasser für diese zwei Morgenkaffee

przełożyli Dieter Kalka i Jakub Malukow-Danecki